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Samstag, 19. Juni 2010
Cover-Träume
tontraegerhoerer, 14:27h
Nachdem tontraegerhoerer schon einmal auf den famosen Beck's Record Club hingewiesen hat, kommt er nun nicht um eine erneute Empfehlung herum.
Zur Erinnerung: Beck Hansen - wohl immer noch vor allem durch seinen Single-Hit Loser bekannt - lädt alle paar Monate einige Künstlerinnen und Künstler in sein privates Studio ein und spielt ein begnadetes und meistens bekanntes Album der Pop-Geschichte ein. Bisher wirkten so illustre Gäste wie Jeff Tweedy von Wilco, Jamie Lidell, (Leslie) Feist, Nigel Godrich oder der hauptberufliche Schauspieler Giovanni Ribisi mit.
Dieses Mal begibt sich Beck mit Annie Clark von St. Vincent und der Band Liars auf die Spuren von INXS. Dass sich Frontmann Michael Hutchence dem Bandnamen-Motto "in excess" zu sehr verpflichtet fühlte, zeigte sich 1997 in seinem Selbstmord unter Drogeneinfluss. Die Versuche der Band seit diesem tragischen Ereignis wieder auf die Beine zu kommen (inklusive eines Fernsehcastings für einen neuen Sänger), sind bisher gescheitert.
Was sich aus den Songs des Erfolgsalbums Kick der australischen Band machen lässt, demonstriert Beck's Record Club äußerst eindrucksvoll. Wer sich die Mühe macht, das Original von INXS und die Coverversion anzuhören, wird überrascht sein von der Intensität und Emotionalität der neuen Version.
Hier geht's zum ersten Bericht über Beck's Record Club.
Und hier geht's zu Beck's Record Club.
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Sonntag, 13. Juni 2010
Neu: Arcade Fire
tontraegerhoerer, 12:32h
Die erste Single The Suburbs vom gleichnamigen, neuen Arcade Fire-Album ist draußen und anders. Kein treibender Rhythmus, keine Massenhypnose sondern gepflegtes Melancholie-Schunkeln im Falsett. Mehr davon!
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Dienstag, 8. Juni 2010
Berliner Chaostage
tontraegerhoerer, 13:16h
tontraegerhoerer ist immer noch ein wenig irritiert von den zurückliegenden Wochen des politischen Lebens und versucht ein sicherlich vorzeitiges Resümee.
Hätte sich ein Drehbuchautor die letzten Wochen ausgedacht und einer Produktionsfirma als Politthriller angeboten, wäre der zuständige Produzent vor Lachen wohl vom Stuhl gefallen, hätte das Skript nach zwei Seiten zerrissen und in den Papierkorb befördert. Eine sechs Monate lang als wahnwitzig beschriebene und dennoch stur eingehaltene Taktik des Nichtstuns, die Wahlerfolge ermöglichen soll, führt zu katastrophalen Verlusten in Nordrhein-Westfalen. Ein machthungriger, polarisierender Ministerpräsident schwört der Politik ebenso ab wie ein bescheidener, populärer Bundespräsident. Zwei sehr unterschiedliche Kandidaten werden aus den gleichen machtpolitischen Gründen gekürt, großkoalitionäre Schreckgespenster wehen umher, Gesundheitspolitiker werden zu Wildsäuen und Freibier für alle gibt es auch nicht mehr. Und das alles innerhalb eines Monats.
Was derzeit in der politischen Landschaft passiert, ist überraschend, besorgniserregend und unheimlich spannend. Selten gab es eine Zeit, in der sich die Ereignisse – größtenteils völlig unabhängig voneinander - dermaßen überstürzten wie in den letzten Wochen. Welche Auswirkungen sie haben, zeichnet sich nun langsam ab:
CDU/CSU
Horst Seehofer müsste sich eigentlich den ganzen Tag lang die Hände reiben. Nachdem er in den letzten Jahren mehrfach als Störenfried abgekanzelt und von Granden der CDU und Angela Merkel zurechtgewiesen wurde wie ein unartiger Schuljunge, ist seine Machtposition momentan sehr gefestigt. Die Kanzlerin ist viel zu beschäftigt, die eigene Koalition nicht auseinanderbrechen zu lassen und die politischen Größen der CDU…? Die haben sich größtenteils freiwillig verabschiedet: „Arbeiterfürst“ Jürgen Rüttgers wurde von den Wählerinnen und Wählern auf ein erträgliches Normalmaß gestutzt, Roland Koch ist oft genug an Merkel gescheitert und taucht ab in die freie Wirtschaft und Christian Wulff wird entweder Bundespräsident oder darf seine politische Karriere an den Nagel hängen. Und all die Pofallas, Röttgens, Schäubles und von der Leyens muss Seehofer nicht fürchten, werden sie innerhalb der Partei doch nur als Lautsprecher Merkels angesehen.
Das Machtvakuum, dass sich innerhalb der CDU um Angela Merkel herum gebildet hat, lässt die CSU wieder in alter Größe erstrahlen, für den Moment zumindest.
Die CDU-Vorsitzende mag zwar durch die endgültige Niederlage des Anden-Paktes rund um Koch, Wulff und Konsorten vordergründig gestärkt sein, doch ein wesentliches Problem ihrer Politik vergrößert sich damit enorm. Wer in Zukunft Merkels Politik neben der ja recht schweigsamen Kanzlerin innerhalb der CDU und den Bürgern erklären soll, bleibt offen. Solange Lieberknecht, Bouffier, Mappus oder McAllister Namen ohne Gesichter und Programme bleiben, bleibt auch die CDU plötzlich ziemlich kopflos. Merkel wird ein riskantes Spiel spielen müssen und alles auf eine Karte setzen müssen: Angela Merkel. Wenn es funktioniert, wird sie wohl in eine Liga mit Helmut Kohl aufsteigen. Doch jede noch so kleine Niederlage wird von nun an mit ihr in Verbindung gebracht werden.
Die Regierung
„Freibier für alle macht beliebt, aber dann fährt der Karren vor die Wand.“ Mit dieser Äußerung kündigte Guido Westerwelle in bester Generalsekretärsmanier die bevorstehenden Sparmaßnahmen an und als mündiger Bürger atmet man durch. Endlich hat diese Regierung einen gemeinsamen Programmpunkt gefunden. Da übersieht man gerne, dass sich Teile der Koalition im Zuge des Streits um die Gesundheitsreform gegenseitig als „Wildsau“ bezeichnen. Jetzt soll also gespart werden. Das war eigentlich jedem schon seit der letzten Bundestagswahl klar, bis auf die FDP, die viel zu lange an das Wunder von Steuersenkungen glaubte. Stattdessen gibt es jetzt eine Art Kerosin-Steuer. Und die Finanztransaktions-usw.-Steuer, die selbst die meisten Politiker nicht richtig verstehen. Und eine Brennelemente-Steuer, was wohl ein cleverer Schachzug sein soll. Denn plötzlich geht es in der Laufzeitverlängerungsdiskussion für Atomkraftwerke nicht mehr darum, ob die Reaktoren sicher und geeignet dafür sind. Jetzt ist die Verlängerung eine Frage des nationalen Interesses aller Bürger, um wirtschaftlich zu überleben. Denn ohne längere Laufzeiten gibt es auch keine zusätzlichen Steuereinnahmen, und dann müsste die Koalition noch mehr bei den sogenannten „kleinen“ Bürgerinnen und Bürgern sparen. Eine Vermögenssteuer oder Anhebung des Spitzensteuersatzes steht natürlich außer Frage. Atomkraft für gesicherte Hartz IV-Sätze, da sind die paar Störfälle und Risiken doch wirklich absolut nebensächlich und auf die in Auftrag gegebenen Gutachten muss man auch nicht mehr warten. Es geht schließlich um Geld.
Doch bevor die Koalition sich allzu sehr über die gemeinsamen Anstrengungen freut, gilt es noch bis zum 30. Juni zu zittern. Die sichere Mehrheit in der Bundesversammlung wackelt in den letzten Tagen mehr, als der Regierung lieb sein kann. Die Nominierung Christian Wulffs war ein parteitaktisch kluger Vorgang, der einen nicht zu regierungskritischen Bundespräsidenten ins Amt bringen dürfte, das dieser wohl nicht so leicht vorzeitig verlassen würde. Doch die Aufstellung von Joachim Gauck durch SPD und Grüne war eine parteitaktisch betrachtete noch bessere Idee. So hat die Opposition nicht nur den besseren Kandidaten, sondern auch die moralische Haltung der meisten Bürger hinter sich: Ein parteiübergreifender Bundespräsident entspricht dem Wunsch der Mehrheit nach einem Ende politischer Machtspielchen.
SPD
Sigmar Gabriel wird im Moment wohl einen sehr ruhigen Schlaf haben. Hannelore Kraft erweist sich in Nordrhein-Westfalen als kluge, integere, inhaltlich argumentierende Politikerin, als Anti-Ypsilanti. Joachim Gauck übertrifft schon jetzt alle Erwartungen und Schwarz-Gelb zerfleischt sich selbst ohne jedes Eingreifen der Opposition. Das Schlimmste, was der SPD jetzt passieren könnte, wären vorzeitige Neuwahlen. Denn noch hat sich die arg gebeutelte Partei bei weitem nicht erholt von der eklatanten Niederlage im letzten Jahr. Das Durcheinander der Regierungskoalition ermöglicht ihr einen Erneuerungsprozess abseits medialer Dauerbeobachtung, und momentan sieht es so aus, als würde Gabriel diese Gelegenheit nutzen. Wann und ob die SPD jedoch je wieder in der Lage sein wird, Wahlen aus eigener Kraft zu gewinnen, bleibt weiterhin unsicher.
Die Presse
Der größte Profiteur der vergangenen Wochen dürften wohl „die Medien“ sein. Selten war die Nachrichtenlage in der Innenpolitik dermaßen vielfältig und dicht. Für Journalistinnen und Journalisten wäre es geradezu wünschenswert, dass Christian Wulff die Wahl zum Bundespräsidenten Ende Juni verliert. Das wäre nicht nur die nächste nachrichtliche Sensation, denn das Ende der Regierung wäre wohl damit definitiv eingeleitet und die Kommentarspalten wären für Monate gefüllt.
Roland Koch und Horst Köhler
Die beiden Zurückgetretenen haben trotz gemischten bzw. entsetzten Reaktionen einen enormen Vorteil: Sie haben sich selbst von jeglichem Druck befreit und können nun dem äußerst regen, machtpolitischen Spiel der großen Parteien gelassen zusehen. Ein Luxus, den die meisten Bürgerinnen und Bürger wohl längst nicht mehr teilen.
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Samstag, 22. Mai 2010
Lieblingsserien (2): Lost ohne Ende
tontraegerhoerer, 14:50h
Nach sechs Jahren geht am kommenden Sonntag die wohl meistdiskutierte Serie über eine Gruppe Überlebender eines Flugzeugabsturzes auf einer seltsamen Insel zu Ende.
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Und dann ist auf einmal alles vorbei. Das mit Fiebern, das hingehalten Werden, der Ärger, die Lust, die sprachlose Überwältigung und das manische Rätselraten.
Lange Zeit schien es, als würden die letzten beiden Folgen von Lost über das Schicksal der gesamten Serie entscheiden: Gelingt eine zufriedenstellende, angemessene Lösung – nicht unbedingt Auflösung! – dann wird die Serie als wohlmöglich beste aller Zeiten in die Annalen eingehen.
Bleibt die lang erwartete Erkenntnis aber aus oder wird ein unwahrscheinliches Konstrukt als ultimative Wahrheit verkauft, waren sechs Jahre vergebens.
Wer die Serie verfolgt hat, musste nach dem Ende der fünften Staffel Letzteres fürchten. Denn was die sechste Staffel bis jetzt – direkt vor dem Finale – leistet, schien eigentlich unmöglich. Lost emanzipiert sich von den selbst geschaffenen Rätseln, den profanen Untiefen des „Warum?“ und kreiert stattdessen einen Mythos, der nicht neu, aber aufgrund seiner fatalen Auswirkungen machtvoller als jeder Aufklärungswunsch ist.
Der unglaublich clevere Trick der Lost-Autoren besteht darin, diesen Mythos, die eigentliche Schöpfungsgeschichte der Serie, nicht chronologisch richtig an den Anfang zu stellen, als folgerichtige Bedingung für alle Handlung, sondern eben diesen Ausgangspunkt den Figuren und uns vorzuenthalten. Bis zum Schluss.
Stattdessen leiden wir gemeinsam mit ihnen. Fassungslos beobachten wir fünf Staffeln lang die wortwörtliche Auferstehung John Lockes, seine scheinbare Berufung und sein erbärmliches Ende. Wir staunen immer wieder über Kates Seiten- und Loyalitätswechsel und Sawyers Gerissenheit. Wir betrauern all die Toten, hoffen mit all den Liebenden und fürchten uns wie die Figuren vor den dunklen und bedrohlichen Orten des Dschungels. Doch am meisten suchen wir gemeinsam mit Jack nach einem Sinn und einem Ziel.
Bis sich immer mehr verdichtet, dass es egal ist. Es spielt keine Rolle, dass ausgerechnet Hurley, Kate, Jin, Sawyer oder Jack auf der Insel gelandet sind. Denn ihre – und unsere – Suche nach Sinn ist unwichtig, ihr Schicksal ist nicht bedeutsamer als das eines Baumes im Urwald angesichts der Geschichte dieser speziellen Insel. Lange bevor einer der Oceanic-Passagiere einen Fuß auf das mysteriöse Eilandsetzte, wurde auf ihr schon ein immerwährender Kampf zwischen Gut und Böse ausgetragen, und er wird es nach ihnen genauso. Wer in diese Schlacht hineingezogen wird, ist zweitrangig, letztlich sind alle Charaktere nichts weiter als Randfiguren, Kollateralschäden.
Aber wenn das Leben der Hauptfiguren einer Serie bedeutungslos wird, ist es dann nicht auch die Serie selbst? Nein, denn es ist gerade diese niederschmetternde Erkenntnis, die Lost aus der Breite der Fernsehserienlandschaft endgültig heraushebt, ein nahezu religiöses, gotteserfahrungsähnliches Erlebnis: Man hat das Gefühl, einen – immerhin sechs Jahre währenden – Ausschnitt etwas viel Größeren und Bedeutsameren erlebt zu haben, das gerade wegen seiner nicht erfassbaren Gesamtheit umso unglaublicher, verrückter und schöner wirkt. Lost und seine Figuren mögen ein Ende finden, doch die Insel bleibt.
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Donnerstag, 13. Mai 2010
Gut' Ding will Weile haben.
tontraegerhoerer, 00:27h
Das trifft auf Joanna Newsoms neues, opulent auf drei CDs/LPs verteiltes Album Have One On Me definitiv zu. Eine Kritik in vier Szenen über Erwartungen, frühe Enttäuschungen und späte Triumphe.
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Erste Szene: Und dann liegt die schwarze, lang erwartete Schachtel vor einem. Have One On Me, da will man gleich sein Glas erheben und anstoßen auf das Design, bevor man auch nur einen Ton gehört hat. Ungekannt lasziv räkelt sich Joanna Newsom in orientalisch angehauchter Atmosphäre, und geht dennoch fast im Chaos des Interieurs unter.
Ist das das Album des Jahres? Vielleicht gar das wegweisende Album für das noch junge Jahrzehnt? Erhebt man nicht automatisch solche Ansprüche, wenn man vier Jahre nach einem Konsensmeisterwerk mit einem Dreifachalbum zurückkehrt? Es gibt wohl nur einen Weg, das herauszufinden: Aufklappen, herausholen, einlegen, zurücklehnen. Hören.
Und die erste Enttäuschung erleben: Einiges erkennt man wieder, manches zieht einen sofort in seinen Bann, aber wirkliche Innovation? Nein, das ist kein Meisterwerk.
Zweite Szene, Rückblende: 2004 tauchte wie aus dem Nichts eine junge Frau mit langen Haaren, altertümlich wirkendem Kleidungsstil und einem der ungewöhnlichsten Instrumente der Popmusik auf, einer Harfe. Es dauerte wahrscheinlich keine fünf Sekunden, bis irgendjemand Feen, Elfen oder sonstige Fabel- und Götterwesen ins Spiel brachte, um die Newcomerin Joanna Newsom zu beschreiben. Und tatsächlich schien ihre Stimme manchmal nicht von dieser Welt, im nächsten Moment jedoch wieder sehr irdisch zu sein, Marke „Babygequengel“. Und natürlich bezauberten einige Songs ihres ersten Albums The Milk-Eyed Mender, wie es von einer Freak Folk-Elfe erwartet wurde. Willkommen in der CocoRosie/Final Fantasy-Schublade.
Wie unrecht man der Künstlerin mit diesem Etikett getan hatte, demonstrierte Newsom mit ihrem zweiten Album Ys, das nur zwei Jahre später monolithisch aus dem Rest der Veröffentlichungen in dieser Zeit ragte. Fünf Kompositionen in über einer Stunde Laufzeit, die das kleine Wort „Song“ nicht mehr erfassen konnte, erzählten Geschichten einer Dichte und Poesie, wie man sie nur selten findet. So wunderte es nicht, dass der berüchtigte Van Dyke Parks die Stücke pointiert arrangierte, ohne auch nur einen Gedanken an so fürchterliche Begriffe wie „Orchester-Pop“ oder Phil Spectors Wall of Sound, mit der er unter anderem Let It Be der Beatles verhunzt hatte, hervorzurufen. Das hier war größer, funkelnder, verführerischer. Das hier war für die Ewigkeit. Das hier ließ die bloße Ankündigung eines dritten, eines Dreifachalbums wie einen Lottogewinn erscheinen. Aber kann man ein Meisterwerk toppen?
Dritte Szene: Seit fast drei Monaten liegt Have one on me nun im CD-Spieler, auf PC und Ipod. Drei Monate lang wanderte ein Rezensionsanfang nach dem anderen in den realen oder virtuellen Papierkorb, weil die Zeit noch nicht reif, das Album nicht einmal umrisshaft begriffen war. Erst jetzt hat man die meisten Songs erfasst und manchmal verstanden.
Have one on me ist atemberaubend, betörend schön und offensichtlich – zumindest immer noch nach drei Monaten – unergründlich. Es ist, man halte sich fest, funky. Und es ist vertraut, denn natürlich gibt es wieder die ausufernden, Volten schlagenden Stücke wie auf Ys, dieses Mal aber gemischt mit knackigen Songs und eigenwilligen Liedern. Was neu ist, abgesehen von The Book of Right-On vom ersten Album, sind die Hits. Good Intentions Paving Company ist so einer und erwischt einen gleich beim ersten Hören, mit dem Piano als Bassersatz, den irritierend wechselnden Percussions und einer Posaune, die Jericho wohl wieder instand gesetzt hätte. Und dann hat man noch nicht einmal auf den Text gehört.
Auch Soft As Chalk gehört in diese Kategorie, entwickelt sich scheinbar langsam, doch der Blues ist schon in der ersten Note hörbar. Spätestens wenn nach über einer Minute das Schlagzeug „ausbricht“, wird deutlich, wohin der Weg geht: Joanna Newsom kann tatsächlich auch Popmusik.
Was könnte man nicht noch alles schreiben, von Geschichten über eine Königsmätresse, Synkopen, Tempiwechsel und Clous und Kniffe in nur einem Song, mit denen manch anderer ganze Alben bestreiten würde. Und das ist wohl letztlich die Quintessenz ihres Schaffens: Joanna Newsom ist so voll von Ideen, dass sie nicht wie andere Künstlerinnen und Künstler aus einer guten Idee einen guten oder grandiosen Song macht. In beinahe jedem ihrer Songs stecken Melodien und Ideen, aus denen sich mehrere eigenständige komponieren lassen würden. Doch zum Glück belässt Newsom es dabei, ihre gewaltige Kreativität zur Verfeinerung und nicht zur Ausschlachtung zu verwenden, ein Album mit 20 CDs voller immer noch hörenswerter Lieder wäre wohl auch kaum bezahlbar.
Vierte Szene: Ist Have one on me ein Meisterwerk? Ja. Ist es besser als Ys? Nein, es ist anders. Was für ein Glück.
Hier geht's zu einem faszinierenden Live-Mitschnitt von Joanna Newsoms Soft As Chalk
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Montag, 10. Mai 2010
I Feel Bonnie
tontraegerhoerer, 23:51h
Eine auf den ersten Blick sehr ungewöhnliche Kombination erweist sich als Glücksgriff.
Die Elektronerds von Hot Chip lassen sich das nette I feel bonnie remixen, und was liegt da näher, als beim netten Bonnie "Prince" Billy anzufragen? Und der hat nicht nur zugesagt, sondern dieses äußerst tanzbare Club-Kleinod abgeliefert:
Dass das nicht die erste, ungewöhnliche Kollaboration des Prinzen - mit bürgerlichem Namen Will Oldham - war, macht sein schräg-absurdes Video zu Kanye Wests Can't tell me nothing deutlich. Aber Vorsicht! Nach dem Genuss dieses Musikfilmhighlights sieht man Hip Hop nie wieder wie zuvor... Waldschrat is in the house!
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Montag, 19. April 2010
Crime Time (2): Ferdinand von Schirach - Verbrechen
tontraegerhoerer, 13:16h
tontraegerhoerer bespricht in dieser Reihe einige ausgewählte Werke der Kriminalliteratur, von stilbildenden Klassikern bis hin zu modernsten Thrillern. All diese Romane verbindet, dass sie innovativ, sprachlich überlegt und dennoch spannend sind, schließlich ist der Krimi-Markt groß genug, um sich nicht mit Mist abgeben zu müssen.
Ferdinand von Schirach, ein Berliner Anwalt und Strafverteidiger, trägt in seinem Buch Kurzgeschichten bzw. Stories – wie er sie nennt – aus seinem Berufsleben zusammen. Ob die Geschichten, wie der Verlag kolportiert, tatsächlich wahr sind, ist unerheblich. Denn von Schirachs Schreibstil lässt jedes der geschilderten Ereignisse glaubwürdig erscheinen.
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Ein 72 jähriger, angesehener Mann ermordet seine Frau mit einer Axt. Eine Studentin liegt mit eingeschlagenem Kopf auf dem Boden eines Hotelzimmers und bringt so einen mächtigen Konzernchef in die Bredouille. Ein namenloser, unscheinbarer Mann gerät in einen Streit mit zwei Rechtsradikalen, der tödlich endet. Man braucht nur eine beliebige Boulevardzeitung aufzuschlagen, um Fälle wie diese knapp zusammengefasst oder unpassend aufgebauscht nachlesen zu können.
Was Ferdinand von Schirachs Texte davon abhebt, ist zum einen seine wohl aus seinem Beruf abgeleitete Unparteilichkeit. Nur selten kann man aus seinen Sätzen eine Wertung oder Meinung filtern. Zum anderen ist es seine klare, äußerst präzise Sprache, die dem Leser den nötigen Raum gibt, sich selbst ein Urteil zu bilden. Bewundernswert ist vor allem, wie von Schirach es schafft, in sehr wenigen Zeilen einen Menschen treffsicher zu charakterisieren.
Natürlich ist Verbrechen kein Kriminalroman, und auch keine Sammlung von Kurzgeschichten, in der es um kluge Polizisten, hinterlistige Verbrecher und die spektakuläre Schilderung abscheulicher Bluttaten geht. Vielmehr verhandelt der Autor die Gerechtigkeit unseres Rechtssystems und die Macht des Zufalls. Denn es wird in fast allen Geschichten deutlich, dass die vermeintlich irrwitzigen und aufsehenerregenden Verbrechen meistens simple und „gewöhnliche“ Straftaten sind, die nur durch eine Verkettung zusammenhangloser Einzelschicksale ermöglicht werden.
Dennoch ist dieses Werk auch im Rahmen der Kriminalliteratur empfehlenswert, da es eine unprätentiöse, in Krimis kaum berücksichtigte Perspektive einnimmt: Die komplette, rekonstruierte Rückschau auf ein aufgeklärtes bzw. nicht zu klärendes Vergehen. Dies ist ein gutes, ein großes Buch.
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