Sonntag, 14. Februar 2010
Lieblingsserien (1): Twin Peaks

Das spannendere Kino findet momentan im Fernsehen statt, genauer in Fernsehserien. Na gut, vielleicht nicht gerade im deutschen Fernsehen. Aber wenn man einen Blick auf das amerikanische TV-Programm wirft, fällt eine enorme Quote von klugen, interessanten und stilbildenden Serien auf. Mit den immer neuen Formaten Schritt zu halten ist unmöglich geworden. Deshalb ist es an der Zeit inne zu halten, zu sortieren und sich die eigenen Favoriten ins Gedächtnis zu rufen: tontraegerhoerers Lieblingsserien starten mit der Mutter des Quality-TV - Twin Peaks.


Twin Peaks


Twin Peaks beginnt mit einer ruhigen, traumartigen Sequenz. Ein alter, kauziger Mann geht im grauen Tageslicht am Ufer eines Sees entlang, eine Angelrute in der Hand und vor sich hin brummelnd. Wenn man als Zuschauer ein aufmerksames Auge hat – und das braucht man in dieser Serie immer wieder – fällt einem bereits am rechten Bildrand, genau auf der Höhe von Petes Angelspitze, ein weißer Fleck auf. Fünf Minuten später dreht der Sheriff von Twin Peaks den weißen Fleck – einen in Plastikplane gehüllten Körper – um und die Handlung der Serie hat begonnen: „Oh God, it’s Laura“.

Es ist das Bild der 17jährigen Laura Palmer, umgeben von Plastik, anmutig blass und mit sanft glitzerndem Haar, das sich ins Gedächtnis einbrennt und zur Ikone geworden ist. 1990 stellte sich ganz Amerika, und später der Rest der Welt die Frage „Who killed Laura Palmer?“


Twin Peaks: Laura Palmer


Aufgeworfen wurde diese Frage von den Schöpfern der Serie, Mark Frost und David Lynch, die das Fernsehen revolutionieren wollten und damit auch teilweise Erfolg hatten. Für Lynch war Twin Peaks kreatives Neuland, hatte er bis dahin doch fast nur Erfahrungen mit Kinofilmen, die Regisseure nicht nur mit mehr Geld, sondern vor allem mit mehr Einfluss ausstatten. Die Möglichkeit, eine Geschichte weit über die normale Spielfilmlänge hinaus zu erzählen, faszinierte Lynch jedoch so sehr, dass er sich auf das Abenteuer Fernsehen einließ.
Das Autorenduo machte sich an die Arbeit und erschuf einen einzigartigen Ort mit skurrilen Figuren: Twin Peaks. Der Zuschauer erlebt die kleine Stadt und all ihre Besonderheiten gemeinsam mit der Hauptfigur der Serie, FBI Special Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan). Der Ermittler wird eingeschaltet, im Mordfall Laura Palmer zu ermitteln und ist schnell gemeinsam mit Sheriff Harry S. Truman einem perfiden Serienmörder auf der Spur.

Die Handlung von Twin Peaks nachzuerzählen oder auch nur kurz wiederzugeben, ist nahezu unmöglich. Das liegt an der schier unglaublichen Anzahl von Handlungssträngen, die manche multiperspektivische Serie von heute blass aussehen lassen würde. Allein im Pilotfilm werden mehr als dreißig Figuren eingeführt, die im Rest der Serie weiterhin eine Rolle spielen. Dass man dennoch nicht den Überblick verliert und einem fast alle Figuren ans Herz wachsen, zeigt wie grandios die Story der Serie durchdacht ist.

Insbesondere die Figuren machen Twin Peaks zu einem unvergess-lichen Erlebnis: Special Agent Cooper mit seiner jungenhaften Faszination für Kaffee, Kuchen und das Urinieren im Freien, die Log Lady, die ständig einen Holzscheit im Arm trägt und mit ihm kommuniziert und die geheimnisumwobene tote Laura, die wie eine Ikone über dem ganzen Film schwebt, bescheren den Zuschauern Momente unfassbarer Schönheit und unglaublicher Spannung.


Twin Peaks: FBI Special Agent Dale Cooper


Neben der Mordermittlung entwickelt sich ein Netz aus Intrigen, Affären, Verbrechen und Geheimnissen. Die kleine Stadt im Nordwesten der USA an der Grenze zu Kanada sieht auf den ersten Blick idyllisch aus zwischen den uralten Wäldern, doch das täuscht gewaltig…

Und genauso täuscht man sich, wenn man eine Serie im bekannten Fernsehstil erwartet. Obwohl David Lynch nur sechs Episoden selbst inszeniert hat, ist Twin Peaks eine Serie im Kinoformat mit einer reichen, zu entschlüsselnden Bildsprache. Doch was sie so einzigartig macht, ist eine Atmosphäre, in der Normales und Absurdes stets nah beieinander sind, als gäbe es nichts Natürlicheres. Deshalb, immer daran denken:

The owls are not what they seem!


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