Montag, 19. April 2010
Crime Time (2): Ferdinand von Schirach - Verbrechen

tontraegerhoerer bespricht in dieser Reihe einige ausgewählte Werke der Kriminalliteratur, von stilbildenden Klassikern bis hin zu modernsten Thrillern. All diese Romane verbindet, dass sie innovativ, sprachlich überlegt und dennoch spannend sind, schließlich ist der Krimi-Markt groß genug, um sich nicht mit Mist abgeben zu müssen.

Ferdinand von Schirach, ein Berliner Anwalt und Strafverteidiger, trägt in seinem Buch Kurzgeschichten bzw. Stories – wie er sie nennt – aus seinem Berufsleben zusammen. Ob die Geschichten, wie der Verlag kolportiert, tatsächlich wahr sind, ist unerheblich. Denn von Schirachs Schreibstil lässt jedes der geschilderten Ereignisse glaubwürdig erscheinen.


Ein 72 jähriger, angesehener Mann ermordet seine Frau mit einer Axt. Eine Studentin liegt mit eingeschlagenem Kopf auf dem Boden eines Hotelzimmers und bringt so einen mächtigen Konzernchef in die Bredouille. Ein namenloser, unscheinbarer Mann gerät in einen Streit mit zwei Rechtsradikalen, der tödlich endet. Man braucht nur eine beliebige Boulevardzeitung aufzuschlagen, um Fälle wie diese knapp zusammengefasst oder unpassend aufgebauscht nachlesen zu können.

Was Ferdinand von Schirachs Texte davon abhebt, ist zum einen seine wohl aus seinem Beruf abgeleitete Unparteilichkeit. Nur selten kann man aus seinen Sätzen eine Wertung oder Meinung filtern. Zum anderen ist es seine klare, äußerst präzise Sprache, die dem Leser den nötigen Raum gibt, sich selbst ein Urteil zu bilden. Bewundernswert ist vor allem, wie von Schirach es schafft, in sehr wenigen Zeilen einen Menschen treffsicher zu charakterisieren.

Natürlich ist Verbrechen kein Kriminalroman, und auch keine Sammlung von Kurzgeschichten, in der es um kluge Polizisten, hinterlistige Verbrecher und die spektakuläre Schilderung abscheulicher Bluttaten geht. Vielmehr verhandelt der Autor die Gerechtigkeit unseres Rechtssystems und die Macht des Zufalls. Denn es wird in fast allen Geschichten deutlich, dass die vermeintlich irrwitzigen und aufsehenerregenden Verbrechen meistens simple und „gewöhnliche“ Straftaten sind, die nur durch eine Verkettung zusammenhangloser Einzelschicksale ermöglicht werden.

Dennoch ist dieses Werk auch im Rahmen der Kriminalliteratur empfehlenswert, da es eine unprätentiöse, in Krimis kaum berücksichtigte Perspektive einnimmt: Die komplette, rekonstruierte Rückschau auf ein aufgeklärtes bzw. nicht zu klärendes Vergehen. Dies ist ein gutes, ein großes Buch.

Hier geht's zu Crime Time Nr. 1

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