Sonntag, 21. Februar 2010
Gelesen und unterstrichen: Heribert Prantl und Hartz IV

Seit einigen Tagen überlegt tontraegerhoerer, sich in die vom FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle angestoßene, unsägliche Debatte über unseren Sozialstaat einzuschalten. Doch nach der Lektüre eines Plädoyers des SZ-Autoren Heribert Prantl ist nur noch ein Zitat nötig.

"Es ist nämlich so: Das Leben beginnt ungerecht und es endet ungerecht, und dazwischen ist es nicht viel besser. Der eine wird mit dem silbernen Löffel im Mund geboren, der andere in der Gosse. Der eine zieht bei der Lotterie der Natur das große Los, der andere zieht die Niete. Der eine erbt Talent und Durchsetzungskraft, der andere Krankheit und Antriebsschwäche. (...)
Bei der einen folgt einer behüteten Kindheit eine erfolgreiche Karriere. Den anderen führt sein Weg aus dem Ghetto direkt ins Gefängnis. Der eine wächst mit Büchern auf, der andere mit Drogen. Der eine kommt in eine Schule, die ihn starkmacht, der andere in eine, die ihn kaputtmacht. Der eine ist gescheit, aber es fördert ihn keiner. Der andere ist doof, aber man trichtert ihm das Wissen ein. (…)
Das Schicksal teilt ungerecht aus; und es gleicht die Ungerech-tigkeiten nicht immer aus. Hier hat der Sozialstaat seine Aufgabe. Er sorgt dafür, dass der Mensch reale, nicht nur formale Chancen hat. (…) Der Sozialstaat ist also, mit Maß und Ziel, Schicksalskorrektor.“ (Heribert Prantl: Korrektur des Schicksals. In: Süddeutsche Zeitung, 20./21. Februar 2010)

Guido Westerwelle hat natürlich Recht, wenn er den Sozialstaat als fehlerbehaftet betrachtet. Und natürlich ist der Abstand zwischen den niedrigsten Löhnen und Hartz IV zu gering. Doch liegt das eben nicht daran, dass die Sozialbeiträge zu hoch sind. Vielmehr ist das Lohnniveau in einigen Branchen menschenunwürdig. Statt über Senkungen der Sozialleistungen nachzudenken, sollte die Regierung Druck auf einige Tarifverbände ausüben um das Lohnniveau im Niedriglohnsektor so anzuheben, dass der gewünschte Abstand zum Einkommen von Arbeitslosen entsteht. Oder einfach gleich einen Mindestlohn einführen, auch wenn Pest und Cholera für CDU/CSU und FDP wünschenswerter zu sein scheinen.

Zum Schluss seines Artikels zitiert Prantl die Präambel der Schweizer Verfassung: „Die Stärke eines Volkes misst sich am Wohl der Schwachen.“ Hoffentlich bemisst niemand unser Volk an dieser Formel.

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Schönes Zitat
...und auch guter Text von dir.

Wenn denn alles so einfach wäre. Ein höheres Lohnniveau lässt sich ja nur in Bereich durchsetzten, die durch Gewerkschaften etc. zusammengeschlossen sind und ein gleichmässiges Gehalt bekommen... Im Handwerk aber zb (welches letztlich ein riesiger Teil genau der Menschen ist, welche nur knapp mehr verdienen als der Hartz IV -Satz) wird der Lohn nicht nach Tarifen oder sowas bezahlt, sondern dies macht jede Firma, vor allem natürlich die zahlreichen kleinen Privatbetriebe... Und genau dieser Sektor richtet sich nach schließlich nach Angebot und Nachfrage: Auch wenn ein Chef seinen Angestellten da gerne mal mehr Stundenlohn geben würde, ist das nicht immer vereinbar mit den Finanzen der Firma, weil zb ein anderer Konkurrent wieder die Preise gesenkt hat, Löhne gesenkt hat, Angebote senkt, usw usw.
Um da dann mitzuhalten, werden wieder Preise gesenkt, und so ist es ein fast unaufhaltbarer Teufelskreis.
In diesen Bereichen einen Mindestlohn festzulegen ist vermutlich daher umso schwieriger, da sich diese tausenden Betriebe niemals einigen könnten: und wenn es nur eine große Firma ist, die dann sagt: ich mach nicht mir, ich hab hier genug Polen, die für 3,50€ die Stunde arbeiten - und damit wieder allen das Geschäft vermiesen.

Mist, wieder vielzuviel geschrieben, aber was ich sagen möchte ist wohl klar: Es ist ein Thema, was nicht gerade einfach ist, und wo man nicht einfach mal etwas ändern kann. Und Leute, die 5 Tage 10 Stunden oder mehr arbeiten und am Ende 1100€ netto haben, kann ich durchaus verstehen, wenn sie dann über Hartz-IV Empfänger meckern, die 900€ plus Wohnung und Nebenkosten erhalten - ohne zu Arbeiten.
Jemand der für dieses Dilemma eine Lösung hätte, würde wohl nicht mehr arbeiten müssen ;)

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Das stimmt alles, allerdings glaube ich, dass ein verbindlicher, bundes- und branchenweiter Mindestlohn diese Abwärtsspirale stoppen würde. Natürlich würde das eventuell einige kleine Betriebe (und auch einige große) zuerst hart treffen, doch langfristig würden davon alle profitieren. Dumpinglöhne wären Vergangenheit und gleichzeitig würde die Kaufkraft erhöht. Und dass Mindestlöhne nicht die Wirtschaft ruinieren, zeigt sich allein schon daran, dass mehr als 20 EU-Staaten mittlerweile welche eingeführt haben.

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Gestern
Nacht bin ich zufällig noch über einen kleinen FAZ-Artikel gestolpert, der auch zeigt, warum die Geschichte mit dem Mindestlohn nicht überall auf Zustimmung stösst:
http://www.faz.net/s/Rub0B44038177824280BB9F799BC91030B0/Doc~E010F9FCE232948518F2C137E340445A2~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Aber generell möchte ich dir zustimmen, vor allem langfristig könnte es viel mehr bewirken...

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