Freitag, 20. November 2009
Bildung und Streik 2009 - Einige Gedanken

Nachdem bereits im Juni Tausende von Studenten und Schülern auf die Straßen gegangen sind, um gegen Studiengebühren, den Bologna-Reformprozess und das Abitur nach zwölf Schuljahren zu protestieren, stand auch diese Woche wieder im Zeichen des dagegen Seins.

Nein, ich war nicht streiken. Nicht, weil ich unpolitisch wäre oder den Demonstranten unrecht gäbe. Ich fühle mich ihren Anliegen gegenüber sogar solidarisch. Bis zu einem gewissen Grad, und da liegt auch schon der Hase bzw. das Protestplakat begraben: Demos sind leider fürchterlich verallgemeinernd.

Da unsere Generation nicht gerade demonstrationsüberaktiv ist, ergab sich für mich erst einmal die Möglichkeit und – wie ich damals zuerst dachte – die Notwendigkeit auf die Straße zu gehen. 2003 gab es auch in meiner Heimatstadt eine große, von verschiedenen Schulen initiierte Demo gegen den Irak-Krieg. Dass mein Anliegen damals nicht Frieden an sich (dafür müsste man jeden Tag demonstrieren, Kriege gibt es genug, dafür brauchte es keinen im Irak), sondern die Wut über die Frechheit einer vermeintlich aufgeklärten und demokratischen Regierung war, völkerrechtswidrig einen Krieg anzuzetteln, spielte keine große Rolle.
Was mich allerdings bei der Kundgebung entsetzte, war ein latenter Hauch von Antiamerikanismus, der über Allem wehte. Gegen Bush wäre ich dabei gewesen, doch Parolen gegen „die Amerikaner“ zwangen mich, die Demo nach ein paar Minuten zu verlassen. Wer eine öffentliche Rede hält, sollte den Unterschied zwischen einem Volk und seiner Regierung kennen. Aber Polemik und Populismus gehen leider immer noch – trotz diverser Ereignisse zwischen 1933 und 1945 – viel zu oft Hand in Hand.

Und genau diese Art der Undifferenziertheit oder – noch schlimmer – Indifferenz hält mich von Demos, Besetzungen und sonstigen Protestaktionen fern.

Ich bin nicht gegen Bologna, ich halte eine Fokussierung vieler Fächer im Bachelor für sinnvoll, denn bei weitem nicht alle Studierenden wollen Wissenschaftler werden. Allerdings darf man sie auch nicht davon abhalten. Es kann z.B. nicht sein, dass in einigen Geisteswissenschaften Studenten durch den Bachelor kommen, ohne auch nur eine einzige (bis auf die Bachelor-Arbeit selbst) Hausarbeit geschrieben zu haben.
Die werden bestimmt nicht durch den Klausurenwahn ersetzt, der das aus der Schulzeit bekannte „Bulimie-Lernen“ etabliert: Wissen reinfressen, zur Klausur auskotzen und dann vergessen.
Wenn alle Studenten in ihrem Fach nur noch über sehr ähnliches Wissen verfügen, haben zwar alle eine tolle Grundbildung, aber wo sind dann in Zukunft bitte unsere Spezialisten in den obskursten Neben- und Unterthemen?
Wenn auf der Demo „Weg mit der Klausurenlast“ skandiert wird, bin ich dabei. „Weg mit Bologna“ allerdings lässt mich die Flucht ergreifen.

Und was ist mit Studiengebühren? Sollten wir als Inanspruchnehmer der Institution Universität nicht mit Vergnügen 1000 Euro im Jahr hinblättern?
In dem Zusammenhang möchte ich darauf aufmerksam machen, dass Studenten – im Gegensatz zu Auszubildenden – drei und mehr Jahre ihres Lebens unbezahlt (ja, Bafög ist nun wahrlich kein Gehalt) mit viel Arbeit opfern, ohne dass ein besser bezahlter Job danach als Automatismus wartet. Und selbst wenn sie anschließend exzellent verdienen, so zahlen sie auch mehr Steuern, u.a. eben für unser Bildungssystem.
Viel wichtiger erscheint mir aber die Symbolkraft, die von Studiengebühren ausgeht. Wir haben in Deutschland sowieso schon mit einer viel zu geringen Durchlässigkeit des Bildungssystems für Kinder aus sozial schwachen Familien zu kämpfen. Diese Hürden werden durch die Gebühren nur noch mehr erhöht.
Doch die Streikbewegung ist nicht nur für die Abschaffung von Studiengebühren und ihren Ausgleich durch Steuermittel, sondern für eine gleichzeitige Aufstockung der Uni-Etats und des Bafögs. Tolle Idee, und wer zaubert jetzt das Geld hervor?

Vielleicht muss man viel zu viel fordern, um zumindest etwas zu erreichen. Doch das ist mir zu taktisch gedacht. Und wenn es keine Taktik sein sollte, wäre es umso schlimmer, nämlich naiv und unrealistisch.

Ein bisschen mehr Nachdenklichkeit und weniger Parolen, wer weiß, vielleicht bin ich beim nächsten Streik dabei. Und das als Magister an einer gebührenfreien Uni.

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