Dienstag, 8. September 2009
Deutscher Herbst, Teil 1
tontraegerhoerer, 15:19h
In den nächsten Wochen schlagen die Herzen von Fans deutscher Indie-Musik höher: Neue Alben von Element of Crime, Tocotronic und Jochen Distelmeyer. Der gab sich vergangenen Samstag samt Band in Mainz die Ehre und hatte zum Glück nicht nur zu viele E-Gitarren eingepackt.
Ich hatte gestern das zweifelhafte Vergnügen, eine Kritik über einen Auftritt von Jochen Distelmeyer & Band in der Mainzer Allgemeinen Zeitung zu lesen. Michael Jacobs schwafelte darin über „Höllisch rollende[…] Rückkkopplungs-Donner“, einen „infernalisch fauchenden Mahlstrom aus pulsierendem Underground-Beat und Sixties-Zitaten“, durchbrechende „Schlager-Sedimente“ und „gescheit gescheitelte Schwere-Nöter“. Da hat wohl jemand einen Metapher-Clown gefrühstückt.
Eigentlich war ich der Meinung, dass solche Auswüchse von Musikjournalisten-Angeberprosa der Vergangenheit angehören. Fachblätter wie Musikexpress, Rolling Stone oder sogar die stets indie-streberhafte Spex sind schon lange zu der Einsicht gelangt, dass derartige Sprachunfälle die Aufmerksamkeit vom Wesentlichen – nämlich der Musik – ablenken.
Zum Glück hat der Autor dieser Kritik größtenteils nur stilistisch daneben gegriffen, denn Distelmeyer konnte tatsächlich über weite Strecken überzeugen. Einzig der gerade bei einigen neuen, härteren Songs (das neue Album heißt nicht umsonst Heavy) zu undifferenzierte Sound verhinderte, dass man wirklich verstand, was gesungen wurde. Und die Texte sind immer noch das Wichtigste an Distelmeyers Musik.
Kein Wunder, dass man nichts verstand, beschallten einen teilweise gleich drei E-Gitarren auf einmal. Doch sobald Jochen Distelmeyer zur Akustikgitarre griff und die Lieder ruhiger und melodiöser wurden, war augenblicklich zu erleben, wieso er zu recht als einer der besten deutschen Sänger und Liedermacher gilt (wem das zu abgeschmackt klingt: Singer & Songwriter). Das fast komplett allein vorgetragene Regen, der neue „Happy Song“ Lass uns Liebe sein und Murmel machen schon jetzt Lust auf das neue Album, während alte Hits wie Wir sind frei, Tics, Old Nobody und das mit Publikumschor zelebrierte Status Quo Vadis die Trauer über das Ende von Blumfeld schmälern. Der deutsche Herbst wurde auf jeden Fall würdig eröffnet.
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