Freitag, 11. September 2009
Fernsehjournalismus 2009 - Die Diktatur der Angepassten

Liebe Fernsehjournalisten!

Wollt ihr mich eigentlich für dumm verkaufen? Entschuldigung, im Grunde halte ich nichts von Polemik, aber wie soll man das, was momentan aufgeführt wird, noch aushalten ohne zu schreien? Noch sitze ich nur mit stummem Entsetzen Abend für Abend vor dem Fernseher und gucke Wahlkampf. Wahlkrampf. Was auch immer.

Ich bin schon lang über das Stadium hinaus zu glauben, dass Politiker von sich aus verständliche, stichhaltige Aussagen treffen. Vielleicht tun sie das sogar ab und zu freiwillig, aber das bekommt man als abgestumpfter Politikinteressierter dann auch nicht mehr mit. Und ich kann es ja sogar verstehen, Politiker werden heutzutage dermaßen auf einzelne Sätze festgenagelt – manchmal auch zu recht, siehe Jürgen Rüttgers Tiefstschlag – dass ich an ihrer Stelle auch im Ungefähren verweilen würde.

Aber wozu gibt es eine Berufsgruppe, die sich professionell mit Politik auseinandersetzen darf? Journalisten genießen das Privileg, geschützt von der Verfassung Kritik äußern und kritisch fragen zu dürfen. An dieser Stelle möchte ich explizit eine zwar überschaubare, doch unbeugsame Reihe von Zeitungen ausklammern, die ihren Berufsstand glänzend repräsentiert. Aber ich brauche in diesen Tagen nur den Fernseher einschalten und werde mit Journalisten und Möchtergernjournalisten konfrontiert, die weitaus bekannter sind als ihre Kollegen aus den Printmedien und leider weitaus schlechter.

Will, Plasberg, Maischberger, Illner, Aust, Schönenborn, Christiansen und wie sie nicht alle heißen, verstehen ihre Tätigkeit nicht nur als reine Moderatorenfunktion sondern immer auch als Journalismus – und scheitern an diesem Punkt viel zu oft kläglich.

Frank Plasberg hatte in seiner Sendung am 19.08. Gäste zum Thema „Reaktor aus - Energiesparlampe an!“ geladen und im Laufe des erwartbaren Gefechts zwischen rot-grün (Sigmar Gabriel, Jürgen Trittin) und schwarzer Energiewirtschaft ((Markus Söder CSU, Hildegard Müller, CDU und Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft) äußerte der Ex-Umweltminister Trittin die Behauptung, dass es im AKW Brunsbüttel über 400 meldepflichtige Vorkommnisse gegeben habe. Müller und Söder widersprachen heftig und entgegneten unisono, dass es nicht ein einziges, derartiges Ereignis gegeben habe. Und was machte Frank Plasberg? Er verwies auf den Fakten-Check am nächsten Tag im Internet. Ganz schön hart, Herr Plasberg.Ich bezweifle stark, dass auch nur die Hälfte der Zuschauer dieses Angebot wahrgenommen hat oder es überhaupt so viele Menschen auch nur interessieren würde.


Aber warum ist das so? Ich glaube, dass es vor allem an eben diesen Talkshows liegt, die die unkontrollierte Verbreitung von Behauptungen und Allgemeinplätzen zulassen. Ist doch klar: Sagt der Eine hü, erwidert der Andere hott. Im Fernsehen funktioniert das perfekt, weil eine Woche später ein neues Thema „aufregend“ ist und das alte vergessen. Und genau an dieser Stelle müsste ein echter Journalist ansetzen und ergründen, ob nun 400 oder keiner richtig ist, beides ist schließlich unmöglich. Besonders Frank Plasberg gehört dort in die Pflicht genommen: Seine Redaktion schafft es, während der Sendung Zuschauermails zu sichten und auszuwählen und eingeladene Experten verfolgen das Geschehen für den Faktencheck im Exil des folgenden Tages. Wieso erteilt Plasberg in einer solchen Situation nicht einfach seiner geheimen Populismuswaffe Brigitte Büscher den Auftrag, mit einer schnellen Internetrecherche oder Expertennachfrage den Sachverhalt zu klären? Das kann in Zeiten von grenzenloser elektronischer Kommunikation doch beim besten Willen nicht mehr so schwierig sein. Es wäre zwar hart, den jeweilig Irrenden vor laufenden Kameras über seine Falschaussage aufzuklären, doch umso fairer den Zuschauern gegenüber.

Doch viel schlimmer finde ich die zunehmende Unfähigkeit, nachhakende Fragen zu stellen.
Warum darf ein CDU-Politiker ohne Nachfrage behaupten, die SPD lege die Endlagerungserforschung in Gorleben mutwillig auf Eis? Dieser Eindruck bleibt haften, bis man durch eigene Erkundigungen herausfindet, dass die SPD sich nur solange gegen weitere Forschung sträubt, bis die CDU auch der Untersuchung weiterer Standorte zustimmt.
Wieso muss kein schwarz-gelber Politiker seine Definition von Sozialismus erklären, darf aber in Fernsehrunden ohne Ablass von einer sozialistischen Bedrohung durch rot-rot-grün reden?
Wieso fragt kein Reporter, woher jeder Sozialdemokrat weiß, dass die FDP den Sozialstaat abschaffen will, wenn denen das anscheinend nicht einmal selbst klar ist?
Wieso sind die einzigen redaktionellen Fragen in der „Wahlkampfarena“ der ARD Quizfragen, die nur Lacher evozieren wollen und wen interessieren tatsächlich die unglaublich egozentrischen Fragen der Zuschauer? („Frau Merkel, ich finde keine barrierefreie Wohnung in Köln, werden Sie nach der Wahl was dagegen machen?“ Ernsthaft?!)

©zeit.de

Warum zielen alle, alle, alle Fernsehjournalisten ständig auf Umfragewerte, Koalitionen und Köpfe ab und fast nie auf inhaltliche Schwerpunkte und Ungereimtheiten?
Habe ich als Wähler, GEZ-Zahler und Zuschauer das verdient? Richard David Precht meinte in der heutigen Ausgabe der Zeit: Ja.

Dem will ich konsequent widersprechen. In der Süddeutschen Zeitung wurde z.B. Karl-Theodor zu Guttenbergs Redestil amüsant aber erbarmungslos analysiert und auf den akuten Aussagemangel hingewiesen. Doch im Fernsehen wird KT lieber über seine Standhaftigkeit und seinen Musikgeschmack befragt.

©bild.de

Wir haben es besser verdient und können es besser haben. Nur nicht im Fernsehen. Nicht solange ich im ARD-Videotext „Schwarz-Gelb mit Mehrheit“ lesen muss, wenn es sich um eine (zweifelhafte, siehe 2005) Umfragemehrheit bei einem Institut handelt. Nicht solange von Steinmeiers versprochenen statt von seinen angestrebten Arbeitsplätzen gesprochen wird. Nicht solange eine zweite und dritte Nachfrage als sinnlos oder unhöflich zu gelten scheinen.

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Die Diktatur der Angepassten
Vermutlich meiden Journalisten klare Stellungnahmen, weil sie in den öffentlich rechtlichen Sendern von Parteien abhängig sind oder in den anderen Sendern von der Wirtschaft. Nicht zuletzt haben aber auch viele Zuschauer keinen Standpunkt und wünschen hauptsächlich Unterhaltung. Interessantes Buch in diesem Zusammenhang: "Albrecht Müller, MEINUNGSMACHE. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen" (Droemer)

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